Schon bevor die Eisenbahn ihre lackierten Reisenden über den Stiefel Italiens verteilte, bevor Wagner Taorminas meer-durchzogene Luft entlieh, um seine Schwanengesänge zu vertonen, schimmerte Sizilien nicht als Ort, sondern als Vorschlag. Es war Mythos, geschnitten aus Basalt und Zitrusschale - eine südliche Fata Morgana, gesehen durch nördlichen Frost.
Am östlichen Rand, unter dem Mund des Ätna und ihren vulkanischen Seufzern, wurde eine Stadt aus griechischem Schatten und byzantinischem Schutt zu einem seltsamen Portal. Taormina. Eine auf einer Klippe thronende Traumwelt, deren Ruinen noch immer homerische Dramen in sonnengewaschener Stille proben.
In der fieberhaften Kartographie der Sehnsucht des 19. Jahrhunderts tauchte Taormina nicht als Zuflucht auf, sondern als erotische Hypothese - ein Ort, an dem nördliche Männer, die Zügel und Frost entfliehen, die Hellenen unter Bougainvillea wieder heraufbeschwören könnten.
Es war Goethe, der zuerst hindurchging und Taormina in seine große Tour als lyrische Fußnote kritzelte. Aber an der Schwelle zum 20. Jahrhundert war es ein Deutscher anderer Tinte, der die Stadt vollständig neu schrieb: Baron Wilhelm von Gloeden, der tuberkulöse preußische Aristokrat mit Lungen voller Ruinen und Augen, die auf die Antike gerichtet waren.
Er kam 1878 an, mehr Invalid als Ikone, zusammenbrechend unter baltischer Feuchtigkeit und dem Gewicht eines Familientitels. Aber Sizilien, fand er, war nicht nur warm - es war ekstatisch. Es zog den europäischen Schleier zurück, enthüllte einen mediterranen Puls, der Sodomie sakramental erscheinen ließ. Als das Jahrhundert sich wendete, hatte Gloeden nicht nur geheilt; er hatte eine homoerotische Arkadien aus Licht, Kalkstein und den Körpern junger Männer konstruiert.
Der queere Salon, den er ins Leben rief, trug nichts von der gotischen Stille von Paris oder Weimar. Sein Taormina war bacchantisch und frech - ein Theater ohne Vorhänge, wo Kameralinsen Fresken ersetzten und Hirtenjungen für Satyrn standen.
Niemand kam nur, um Ruinen zu bewundern. Sie kamen, um in sie einzutreten, sich in ihnen zu inszenieren und Mythos von ihren Stirnen zu schwitzen. Vom Baron fotografiert zu werden, bedeutete, vereinnahmt zu werden - teils Statue, teils Sex, teils Souvenir. Ein britischer Besucher nannte es "in einem sapphischen Flüstern stehen", obwohl er Eros meinte, nicht Lesbos.
Aber Mythos wohnt nicht allein in der Architektur. Gloedens Genie bestand darin, es mit Fleisch zu fluten. Er dokumentierte Sizilien nicht - er schrieb es neu. Und indem er dies tat, schnitzte er aus einem verblassenden Dorf ein Heiligtum des queeren Werdens, Jahrzehnte bevor das Wort sich selbst benennen würde.
Wichtige Erkenntnisse
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Die Antike war nie stiller Stein. In Gloedens Taormina atmete sie durch jugendliche Körper, flackerte zwischen Verlangen und Verkleidung, Mythos und Arbeit, Sonne und Schatten.
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Gloedens Linse ästhetisierte nicht nur den männlichen Akt; sie nutzte den Hellenismus, um ein Schlupfloch durch die europäische Homophobie zu schlagen und die Queerness unter Olivenzweigen und Lorbeerkränzen an den Zensoren vorbeizuschmuggeln.
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Taormina wurde Bild für Bild als queeres Heiligtum konstruiert, das sich als neoklassische Pilgerreise tarnte. Wo sich jeder ausländische Gast in einem erotischen Mythos inszenierte, den er selbst erschuf.
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Was überlebt, ist nicht Unschuld oder Sünde, sondern Licht—die Art, die sich gleichermaßen an Ruinen und Gliedmaßen klammert, sich der Auslöschung widersetzt und durch die Asche des Faschismus brennt, um ein Verlangen zu archivieren, das es wagte, zurückzublicken.


Wilhelm von Gloeden, Sizilianischer Junge mit Lilienkrone und Heiligenschein (ca. 1890er)
Ein Baron des Lichts und des Leids
Er nannte sich selbst Freiherr, aber die Geschichte, mit ihrer trockenen Zunge, kürzte ihn zu „Baron“. Geboren als Wilhelm von Gloeden im Jahr 1856 in die preußische Mittelschicht, war er sowohl kränklich als auch prunkvoll—einer jener zerbrechlichen adligen Söhne, die zwischen baltischen Nebeln und klassischen Büsten aufwuchsen, erzogen nicht zum Arbeiten, sondern zum Verweilen. Von Jugend an hustete er durch die Winter und zeichnete mit der Präzision eines Malers. Ärzte verschrieben Italien, als wäre es ein Tonikum, und so zog er mit zweiundzwanzig Jahren nach Taormina hinab—nicht so sehr ein Ort als eine heliografische Fantasie.
Was er dort fand, war keine Medizin, sondern Transformation. Wo Preußen grau und körperlich gewesen war, war Sizilien reines Pigment. In Taormina, dem fast jungfräulichen Paradies griechischer Geister und barfüßiger Dorfbewohner, wurde Gloedens Körper weniger zur Last, mehr zur Antenne. Seine Krankheit verschwand nicht—sie wurde in Vision verwandelt. Im Exil zog er sich nicht zurück. Er beschwor.
Jahrelang war er ein stiller Zeichner in Olivenhainen, ein seltsamer Ausländer unter den Fischern und Kuhhirten der Stadt. Geld kam in Tropfen aus einem Familienerbe. Dann lehrte ihn ein Cousin—Wilhelm von Plüschow, ein Fotograf mit ähnlich auf Jugend und Sonne gerichteten Vorlieben—die Kamera zu führen. Es war ein Akt der Verführung, sowohl technisch als auch mythisch.
Bis 1889 malte der Baron nicht mehr. Er erfasste. Und nicht nur Aquädukte oder Dattelpalmen für das Touristenalbum. Sein Objektiv fand eine andere Nutzung: die Adoleszenz in ihrer ambivalentesten Blüte einzufrieren. Die ersten Modelle waren junge Männer, die er auf dem Hügel traf—sonnengebräunt, scharfkantig, weder ganz Kind noch Mann. Er kleidete sie in Ziegenfelle, flüsterte ihnen Homer zu, stellte sie in Ruinen wie Votivstatuen auf. Sie waren sizilianische Bauernjungen, aber unter Gloedens Licht wurden sie zu Epheben.
Das war keine Dokumentation. Es war Ritual. Und jedes Bild war eine Auferstehung. In einer Zeit, in der Nordeuropa Europa Verlangen kriminalisierte und Marmortorsi mit Feigenblättern säuberte, wurde Gloedens Sizilien zu einer ketzerischen Kapelle. Dort, in seinem Freiluftstudio, wurde die klassische Antike durch die braunen Glieder von Arbeiterjungen neu geschrieben. Es war, als hätten sich die Ruinen endlich daran erinnert, wofür sie da waren.
Und für den Baron—dekadent, atemlos, langsam im Paradies sterbend—war es genug. Er würde den Rest seines Lebens in Taormina bleiben, nicht als Exilant, sondern als Zauberer. Ein chronisch Kranker, ja. Aber entscheidender: ein Nekromant des Marmorslichts.


Wilhelm von Gloeden, Frau und junger Mann posieren nackt im Freien (ca. 1902)
Das Klassische Besetzen
Der Baron hatte kein Studio. Sizilien war sein Amphitheater, und die Sonne—immer nur leicht zu golden, um glaubwürdig zu sein—war sein Scheinwerfer. Jeder Olivenhain wurde zu einem Proszenium, jede ruinierte Säule zu einem Requisit. Was aus seinem Objektiv hervorging, war kein beiläufiger Akt. Es war Liturgie. Er inszenierte junge Männer nicht als sie selbst, sondern als Echos des Mythos—Apollos, Ganymedes, Daphnes in der Verwandlung. Sie lagen in Ziegenfellen oder Spitze, auf Felsen oder in Dickichten, komponiert mit der mathematischen Klarheit eines Renaissance-Altarbildes und der üppigen Perversität einer Salonszene.
Sein war ein Photoromantizismus aus Schweiß und Mythologie. Er tupfte ihre Haut mit Olivenöl und Milch, mischte Glycerin für die Textur, bis ihre Torsi wie parischer Stein glänzten. Chitons wurden aus Vorhangresten genäht, Lorbeerkränze aus Hainen gepflückt. Eine zerbrochene Amphore stand für verlorene Zivilisation. Lilien und Ziegen waren keine Kulisse—sie waren Symbole, erotische Kodizes, die sich als arkadischer Naturalismus tarnten.
Dies war keine Dilettantenaufführung. Gloeden las Skulpturen, wie andere die Schrift lasen. Er studierte den Apollo Sauroktonos als wäre es ein Handbuch. Jede Kurve eines Arms, die Neigung einer Hüfte, hatte einen Präzedenzfall in der Antike. Er übersetzte diese in fotografische Syntax—Morgenlicht für Chiaroscuro, Sepiatönung, um den Rost der Zeit zu simulieren. Jedes Albuminabzug, das er entwickelte, war keine Reproduktion, sondern eine Séance. Er imitierte nicht die Antike; er sprach durch sie hindurch.
Die Ergebnisse waren andächtig, ja—aber nicht zu Gott. Zum Körper. Zu einer klassischen Perfektion, die in südlichen Bauern verkörpert wurde, deren Schönheit unter dem Deckmantel der Kultur rituell geadelt wurde. Dabei schuf Gloeden eine sichere Übertretung: einen Katalog von Beinahe-Nackten, der die Zensur umging, indem er die Libido in die Sprache Homers hüllte.
Besucher verstanden. Sie kamen mit Goethes Versen in der einen Hand und latenter Begierde in der anderen. Sie sahen keine Ausbeutung; sie sahen Allegorie. Ein deutscher Diplomat könnte einen Abzug eines jugendlichen Satyrs bestellen, weil es auf dem Papier Mythologie war. Aber in der Privatsphäre seines Arbeitszimmers wurde es etwas ganz anderes.
Gloeden kannte diese Doppelzüngigkeit und umwarb sie. In seiner Villa auf dem Hügel nippten Gäste an Wein zwischen Requisiten und Wandteppichen, die Luft war dick mit Orangen und Anspielungen. Vor dem Abendessen könnte der Baron selbst Goethes Römische Elegien rezitieren, seine Stimme baritoniert mit Ironie. Die Gäste lachten. Die jungen Männer posierten. Und das Foto—zu gleichen Teilen Schleier und Offenbarung—tat den Rest.


Wilhelm von Gloeden, Studie einer männlichen Figur (ca. 1900-1910)
Epheben der Sonne
Sie waren keine Statuen, obwohl der Baron es sich so wünschte. Sie waren junge Männer. Echte junge Männer. Söhne von Hirten und Olivenpressen. Die Art, die Ziegen vor dem Frühstück transportierten und bei Einbruch der Dämmerung Münzen erbettelten. Doch im Blick von Gloeden waren sie nicht länger junge Männer, sondern Epheben—jene mythischen Jugendlichen, die zwischen Arbeit und Lust, zwischen Menschlichem und Göttlichem schweben.
Die Verwandlung war nicht metaphorisch. Sie war mechanisch, fotografisch, ökonomisch. In einem Bild liegt ein Jugendlicher halbnackt unter Efeu, ein Lorbeerzweig um seine Stirn geschlungen; in einem anderen hält er eine Amphore an seine Brust, als könnte sie Geschichte verschütten. Ihre Haltungen flirten mit der Antike: Finger, die wie Marmor posieren, Hüften, die mit dem Anschein von Anmut geneigt sind. Doch immer, unter den Requisiten, ist etwas weniger Stilisiertes. Ein Körper, der seine eigene Form lernt.
Das war Theater, und jeder kannte seine Rolle. Der Baron war der Regisseur. Die jungen Männer wurden nicht aus Eton, sondern aus Gassen und Fischereihäfen besetzt. Für einige war die Kamera eine Flucht, ein Tageslohn, eine Mahlzeit. Für andere war es Macht – wenn auch nur vorübergehend. Das Objektiv verlieh eine flüchtige Noblesse, eine Fiktion der Erhebung. Sie waren nicht länger hungrige Söhne; sie waren Adonisse auf geliehener Zeit.
Und doch trug das Idyll Ballast. Jede Sitzung erforderte Zustimmung, die als Mythos verkleidet war, Komplizenschaft, die in Allegorie lackiert war. Ein Modell zu sein bedeutete, sich bereit zu erklären, neu erfunden zu werden – manchmal feminisiert, manchmal mythologisiert, immer erotisiert. Gloedens Studiotraditionen spiegelten die antike Pädagogik wider: der weise Mann mit seinem jungen Schützling, der Bildhauer mit seiner biegsamen Muse. Es war nicht genau Liebe. Es war Performance. Aber Performance mit Einsatz.
Da war Pancrazio Bucini – Il Moro – Gloedens Favorit, Muse, Assistent und Schatten. Mit seinen tief liegenden Augen und kupferdunkler Haut wurde er zur am häufigsten wiederkehrenden Figur des Barons: ein Dionysos im Profil, ein Hirtenjunge in Samt gehüllt. Vierzig Jahre lang stand er hinter und vor der Kamera, half bei der Rekrutierung, beim Posen und Archivieren. Er wurde zu etwas Seltenerem als einem Subjekt: ein Mitverschwörer in der Mythenbildung.
Aber es gab viele andere. Dutzende, vielleicht Hunderte. Und mit jedem eine Transaktion. Der Baron bot Wein, Kostüme, goetheische Lobpreisungen. Im Gegenzug wurde ihm Haut, Haltung und das stille Einverständnis angeboten, dass dieses – dieses Pantomime der Antike – mehr wert war als die Anonymität der Arbeit. Für einen Jungen, der sonst Oliven für eine Lira pflücken könnte, bot Gloedens Haus Mythos, Geld und momentanen Aufstieg.
Er vergaß sie nicht. Jahre später, mit angesammelten Gewinnen, teilte der Baron seine Beute. Die Teenager – jetzt Männer – kehrten zu seiner Villa zurück, und wenn ihre Gesichter einst einen Druck zierten, erhielten sie eine Entschädigung. Es war ein Akt der Noblesse, vielleicht. Oder Schuld. Oder beides. Gloedens Verteidiger bestehen darauf, dass er seine Modelle verehrte, in ihnen eine durch Geburt verweigerte Noblesse sah. Seine Kritiker sehen Ausbeutung, weich beleuchtet und sepia-getönt.
Die Wahrheit ist irgendwo im Korn dieser Drucke eingenäht. Ein Blick, der zu lange gehalten wird. Ein Lächeln, erzwungen im Schatten des Mythos. Ein Dorfjunge, der Achilles für eine Lira und eine Geschichte spielt. Wenn Arkadien lebte, war es nie unschuldig.


Wilhelm von Gloeden, Jugend im antiken griechischen Kostüm (ca. 1890er)
Salon der Zeitalter
Taormina beherbergte nicht einfach nur Gloeden. Es wurde sein Theater, seine Galerie, seine Erfindung. Was als verstreutes Dorf in griechischen Ruinen und bäuerlichem Staub begann, verwandelte sich innerhalb einer Generation in eine mythische Enklave für Europas dekadente Elite. Und der Baron—halb Invalid, halb Impresario—war ihr inoffizieller Souverän.
Besucher kamen nicht zufällig. Sie wurden durch Bilder herbeigerufen. Gloedens Fotografien—zuerst als Postkarten, dann als Sammlerstücke verbreitet—dienten nicht nur als erotische Ikonen, sondern auch als Werbung. Sie suggerierten, dass irgendwo an Siziliens Flanke, unter einem Vulkan und zwischen Zitrushainen, ein Heiligtum existierte, wo Schönheit, Künstlichkeit und Abweichung ohne Konsequenzen verschmelzen konnten.
Und so kamen sie. Dichter, Diplomaten, Dandys. Aus Berlin, Brüssel, Wien. Sie brachten Goethe in Übersetzung und Sandows Körperhandbücher mit. Einige bauten Villen. Andere mieteten Fantasien. Im Casa von Gloeden fanden sie mehr als Kunst—sie fanden Freiheit. Es gab Partys: nicht ganz orgiastisch, aber zwischen Salon und Spektakel angesiedelt. Junge Männer in mesopotamischen Gewändern servierten Wein. Gäste in Seide rezitierten Sappho unter barocken Kronleuchtern. Ein Bacchanal, aber umwoben von goetheanischer Würde.
Durch diese Zusammenkünfte wurde Taormina zu einer Kolonie nicht des Imperiums, sondern der ästhetischen Sehnsucht. Eine Künstlerkolonie ohne Leinwand. Ein queeres Asyl, getarnt als kulturelle Pilgerreise. Gloeden war ihr Mittelpunkt, ein Magnet, der nördliche Schuld zur südlichen Sonne zog. Sogar Kaiser Wilhelm II., so wird gemunkelt, bewunderte die Arbeiten des Barons—einige behaupten, er habe dafür posiert. Oscar Wilde schmuggelte Drucke in seinem Gepäck, tausend mediterrane Blicke in Sepia gefaltet.
Künstler folgten ihm. D’Annunzio, Strauss, anglo-deutsche Kleinadlige, alle zeichneten denselben Bogen nach: von Nord nach Süd, von Unterdrückung zu Ritual, von Anstand zu Dekadenz. Gloedens Taormina bot ein kuratiertes Chaos, mythisch genug, um sicher zu erscheinen, gefährlich genug, um den Puls zu beschleunigen. Für den Aristokraten im Exil war es ein Spiegel; für den Schriftsteller im Versteck eine Muse.
Doch unter dieser ästhetischen Fassade brodelten die Politik des Blicks und der Klasse. Die jungen Männer blieben lokal, arm, oft unsichtbar, sobald der Verschluss klickte. Die Gäste blieben wohlhabend, umherziehend, verzaubert von ihrer eigenen Projektion. Taormina, wie Pompeji, wurde zu einer Metapher: eine schöne Ruine, in der Nordländer alte Dramen auf geliehenen Körpern probten.
Was Gloeden inszenierte, war nicht nur Nostalgie. Es war ein Mechanismus. Ein Proto-Tourismus, angetrieben von homoerotischem Mythos und kolonialem Exotismus. Und Taormina, einst ein unbekanntes Vorgebirge, wurde zu einem Ziel nicht wegen seines Theaters, sondern wegen seiner lebenden Skulpturen—braunhäutig, unterernährt und perfekt beleuchtet.
Wenn die Salons schimmerten, dann taten sie es auf geliehener Strahlkraft. Die jungen Männer, die Ruinen, die Mythen—sie ließen die Gäste klassisch fühlen. Und in diesem Gefühl hatte Gloeden Erfolg. Er gab Nordeuropa die Illusion der Antike ohne deren Asche. Eine Wiederbelebung Griechenlands mit der Kamera als Orakel, der Villa als Schrein und Sizilien als Altar.


Wilhelm von Gloeden, Zwei nackte junge Männer auf einem Felsen (ca. 1890er)
Ein Vermächtnis im Exil
Als der Faschismus Italien in seiner lackierten Faust packte, war der Baron nicht mehr nur dekadent—er war gefährlich. In einem Regime, das Marmor-Muskeln verehrte und Verlangen zensierte, wurden Gloedens sonnenbeschienene Epheben zu Verbindlichkeiten. Die gleichen Glasplatten, die einst Salons schmückten, wurden plötzlich als Degeneration umgedeutet. Der Traum war verdächtig geworden.
Das Durchgreifen war methodisch. Die Polizei durchsuchte seine Archive und brandmarkte die Fotografien als pornografisch statt poetisch. Fast dreitausend Negative wurden zerschlagen, Emulsionen unter staatlichem Dekret verflüssigt. Sein mythisches Arkadien, einst im Licht bewahrt, wurde unter Mussolinis Nationalismus zu Asche.
Nach seinem Tod im Jahr 1931 kehrte die Stille nach Taormina zurück. Die jungen Männer alterten zu Arbeitern oder verschwanden. Die Villa wurde dunkel. Jahrzehntelang wurde Gloedens Name aus offiziellen Erzählungen gestrichen, überlebte nur in Flüstern und Fußnoten. Selbst als das Nazi-Regime griechische Statuen fetischisierte, lehnte es die mediterrane Vision des Barons ab—seine Queerness war zu explizit, sein Mythos zu verkörpert.
Aber ein Mythos, einmal beschworen, widersteht der Auslöschung. Als die 1960er Jahre mit Wellen der sexuellen Revolution hereinbrachen, tauchte Gloedens Werk wieder auf—zuerst unter Sammlern, dann in Zines, dann als Relikte trotziger Zärtlichkeit. Wissenschaftler begannen auszugraben, was begraben worden war: nicht Pornografie, sondern Provokation. Nicht nur Ausbeutung, sondern Erfindung.
Kritiker waren gespalten. Roland Barthes wies die Drucke als Kitsch zurück und beschuldigte sie der ästhetischen Feigheit. Andere sahen darin eine radikale Syntax: die Wiederbelebung der Antike als queerer Protest. Gloedens Linse dokumentierte nicht Unschuld. Sie inszenierte ihre Unmöglichkeit und machte Schönheit sowohl klassisch als auch kompromittiert.
Heute ist der Baron kanonisch. Seine Drucke—die wenigen, die der faschistischen Säuberung entgingen—ruhen in Museen und Archiven. Sie zirkulieren in Retrospektiven und Queer-Theorie-Lehrplänen, kommentiert mit Ironie und Sehnsucht. Sie werden in Mode-Strecken zitiert, in HBOs The White Lotus referenziert, in Drag-Performances widerhallend, wo Dionysos Pailletten trägt.
Aber sie zu studieren bedeutet nicht, sie zu entschuldigen. Es bedeutet, einen Blick zu konfrontieren, der sowohl bewundernd als auch asymmetrisch ist, um nachzuzeichnen, wie sich Macht in Ziegenfell und Mythos kleidete. Diese sizilianischen jungen Männer, jetzt anonym, bleiben eingerahmt. Ihre Schönheit, in ein Vermächtnis verwandelt, leuchtet noch immer unter Mandelblüten und nassen dunklen Locken.
Und doch, trotz all dem, bleibt etwas bestehen. Keine Unschuld. Nicht einmal Arkadien. Aber eine Idee—dass der Körper, wenn er in Mythos gebadet und in Sonne gefangen wird, sich für einen Moment dem Griff der Geschichte entziehen kann. Dass Queerness, wenn sie als Marmor verkleidet ist, der Zensur entkommen könnte.
Gloeden überlebte seinen Mythos nicht. Er installierte sich selbst darin. Und in jedem überlebenden Druck, zwischen sepiafarbenen Lorbeeren und olivenen Schenkeln, bleibt das Versprechen, dass selbst Ruinen Licht brechen können.

Leseliste
Contogouris, Alexandra. “Neoklassizismus und Camp in Sir William Hamiltons Neapel.” ABO: Interactive Journal for Women in the Arts, 1640–1830 9, Nr. 1 (2019).
Dhaliwal, Ranjit. “Porträt eines sizilianischen Mädchens von Wilhelm von Gloeden – Ein Bild aus der Vergangenheit.” The Guardian, 12. März 2014.
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Gordon, Eric A. “Homoerotica vor Gericht: Ein Fotograf der 1890er Jahre und seine Negative im faschistischen Italien.” People’s World, 9. Mai 2025.
Hullander, Megan. “Der subversive queere Subtext hinter ‘The White Lotus.’” Document Journal, 13. Dezember 2022.
Palumbo, Berardino. “Ein Baron, einige Führer und ein paar ephebische Jungen: Kulturelle Intimität, Sexualität und Erbe in Sizilien.” Anthropological Quarterly 86, Nr. 4 (Herbst 2013): 1087–1118.
Schiff, Gert. Rezension von Photographs of the Classical Male Nude: Baron Wilhelm von Gloeden, herausgegeben von Jean-Claude Lemagny, und Wilhelm von Gloeden: Photographer, von Charles Leslie. Print Collector’s Newsletter 9, Nr. 6 (Jan.–Feb. 1979): 198–201.
Tejero, Daniel, und Javier Moreno. “Priapus’ Odyssee.” IEMed (International Euro-Mediterranean Institute) Nr. 26 (2018).